Retro-Rezension: Mercenary Force
Mercenary Force zog den noch sehr jugendlichen Hardy Anfang der 90er in seinen Bann, blieb jedoch unerreichbar. Jahrzehnte später holte er es endlich nach.
Die Screenshots sind direkt von Hardys Game Boy abfotografiert.
Ach, wie geruhsam und entschleunigt war die Zeit vor dem Internet, als wir Neuigkeiten noch von Fingergemälden an Höhlenwänden oder Papyrus-Pergamenten bezogen. Okay, ganz so schlimm war es nicht, trotzdem war der Informationsfluss deutlich träger als heute, manches blieb auch sehr viel schemenhafter, als uns lieb war.
In meinem Fall trifft das auf das Game-Boy-Spiel Mercenary Force zu, dass ich in einem Spielebuch (66 Game Boy Spiele aus dem Tronic Verlag) entdeckte. Ja, ein richtiges Buch, das mehrere Game-Boy-Titel kurz zusammenfasste und jeweils einen einzigen, mickrigen Screenshot daneben setzte. Das reichte aber völlig aus, um die Flamme des Verlangens in mir lodern zu lassen! Ein Shoot-em-up mit fernöstlichen Kriegern statt stählernen Raumschiffen? In einem japanischen Folklore-Setting? Das klang spannend!
Doch es gab ein Problem: In meinem Umfeld war Mercenary Force nicht zu bekommen, weder im Kaufhaus, noch im Fachgeschäft meines Vertrauens konnte ich es erspähen. Ein Import wäre sicherlich eine Option gewesen, aber zum einen standen natürlich auch deutlich leichter zu beziehende Mainstream-Titel wie Super Mario Land 2 oder Mystic Quest auf meiner Wunschliste und zum anderen sah es meine Mutter nicht gern, wenn ich mein Taschengeld in windige Computerspielgeschäfte steckte. Mercenary Force blieb ein verblassender Traum, dessen Nachhall immer leiser wurde… aber nie völlig verklang!
Viele Jahre später stolperte ich über das Cover , als ich einen Artikel über vergessene Game-Boy-Perlen laß. Zunächst machte mich das Motiv stutzig, es erinnerte mich an eine entschlossen dreinblickende Feuerwehr-Mannschaft, die sich anschickt ihr Einsatzfahrzeug für das anstehende Frühjahrsfest zu putzen, dann aber stach mir der Titel ins Auge: Mercenary Force! In meinen Gedanken übernahm das kurze Kapitel aus meinem Game-Boy-Buch die Kontrolle, das alte Verlangen loderte erneut auf – und diesmal sollte es keinen Preis geben, den ich nicht gewillt war zu zahlen! Bei 45 Euro inklusive Versand musste ich dann doch kurz schlucken, aber ich war mir sicher, dass ich das Paket klammheimlich zu meinem Nachbarn leiten könnte, um es an meiner Frau vorbei zu schmuggeln. Wir alle wissen: Derartige Pläne gehen immer schief, doch bereits nach knapp drei Wochen im Gartenschuppen durfte ich wieder auf die Couch ziehen.
Im Gegensatz zu vielen anderen Shmups steuert man in Mercenary Force nicht ein einziges projektileverschießendes Sprite, sondern gleich ein kampfstarkes Vierer-Team, das man beliebig aus fünf Charakteren zusammenstellt, sofern es der Ingame-Geldbeutel zulässt. Denn die Mercenaries machen ihrem Namen dabei alle Ehre und ziehen nur für klingende Münze in die Schlacht. Jeder Kämpfer bringt eine ihm eigene Schußtechnik mit, so feuert der Mönch diagonal und die Mystikerin vertikal, während die Projektile von Diener und Ninja nach vorne fliegen und der Samurai mit seinem Bogen Doppelschüsse verschießt. Nett: Die Anleitung nennt uns nicht nur Namen und Kampfstärke unserer potenziellen Helden, sondern auch deren Lieblingsessen. Der Ninja ist mir gleich sympathisch, weil ich mir vorstelle, wie er zwischen den Gefechten gesundheitsbewusst an einer Banane knabbert.
Die Zusammenstellung unserer Truppe legt also gleichzeitig unserer Taktik fest, die Aufstellung können wir im dann Spiel jederzeit mit dem A-Knopf umstellen und an die jeweilige Situation anpassen. Ein riesiger Drache versperrt den Weg? Eine vertikale Aufstellung ermöglicht ein breites Schußfeld, setzt aber im Umkehrschluss alle Krieger dem Feindfeuer aus. Eine schmale Brücke überspannt einen reißenden Fluß? Weiter geht’s im Entenmarsch! Wenn die Lebensenergie einer Figur bedrohlich schwindet und kein rettender Sushi-Shop in der Nähe ist, beherrschen die Söldner zudem eine Kamikaze-Attacke, die sie kurzzeitig in ein unbesiegbares Überwesen verwandelt. Einzig der kostengünstige Diener hat hier das Nachsehen, er verabschiedet sich stattdessen optional in einer Explosion, die den Bildschirm vom Feinden befreit (auch als Smart Bomb bekannt).
Nach all den Jahren ist Mercenary Force für mich das erhoffte Highlight! Der Taktikeinschlag macht das Spiel spannend, das Folklore-Setting spricht mich an, das gefiel mir auch an den SNES-Spielen Pocky & Rocky oder Mystical Ninja. Mercenary Force hat allerdings nochmal einen höheren Stellenwert für mich, weil ich davon wirklich nur einen kleinen Absatz in meinem Buch gelesen hatte und lange Jahre allein davon zehren musste. Bei späteren Recherchen stellte ich zu meiner initialen Freude noch fest, dass es in Japan sogar einen Nachfolger gab! Allerdings, o Enttäuschung, handelt es sich um ein Visual-Novel im Mangastil, das zwar putzige Chibi-Varianten der Figuren aus Mercenary Force zeigt, ansonsten aber keinerlei Reiz auf mich entfaltet. Auch der Gedanke, dass die Entwicklerfirma Lenar vielleicht noch andere tolle und ungewöhliche Game-Boy-Spiele entwickelt haben könnte, zerschlug sich nach kurzer Recherche. Neben Mercenary Force gab es nur das Rennspiel Sunsoft Grand Prix, das taktische Battle of the Kingdom und das Rollenspiel Knight Quest. Einige davon sicher “ungewöhnlich”, aber leider für mich nicht “toll”.
Immerhin bleibt mir mit Mercenary Force ein Spiel, das für mich zu den Highlights meiner Game-Boy-Sammlung zählt. Ob das der allgemeinen Wahrnehmung entspricht, interessiert mich nicht – es ist vor allem die lange persönliche Verbindung, die ich zum Spiel habe. Geht oder ging euch das ähnlich? Habt ihr auch ein Spiel, das ihr lange Jahre anschmachten musstet, bis ihr es endlich spielen konntet? Schreibt mir gerne in die Kommentare, ich bin sehr neugierig, welche unbekannten Kleinode wir hier noch zu Tage fördern können!