Wer schon mal mit Al Lowe essen war, weiß, dass er nicht nur indirekt Humor hat, also in seinen Spielen. Er war einer der prägendsten Designer bei Sierra On-Line und wird wohl für immer mit einem gewissen Larry Laffer in Verbindung gebracht werden.
Das folgende Interview haben wir erneut einem Podcast von Retrokompott entnommen und dabei stark gekürzt (ja tatsächlich, obwohl das Interview immer noch ziemlich lang ist) und natürlich redigiert. Al Lowe spricht darin nicht nur über seine bekannten Spiele wie Leisure Suit Larry, sondern auch über unbekannte sowie seine Zeit als Lehrkraft, die Anfangszeit und Endphase von Sierra, aber auch allgemein den Pioniergeist in der frühen Spieleentwicklungszeit.
Retro Gamer: Du hast einmal gesagt, du seist der älteste Computerspieledesigner der Welt.
Al Lowe: Es ist über 30 Jahre her, dass ich das gesagt habe. Was bin ich dann heute? Der älteste Überlebende, vielleicht?
RG: Was war dein erster Kontakt mit einem Computer?
Al Lowe: Als ich jung war, gab’s noch keine. Ich kam 1946 auf die Welt, damals gab es im Umkreis vermutlich ein oder zwei analoge Computer. An der Uni überzeugten mich Freunde, dass nur Ingenieure jemals einen Nutzen von FORTRAN haben würden. Später unterrichtete ich in einem Schulbezirk, in dem es einen DEC Mini Computer gab, eine PDP-11/70. Die Programmierer, die in den heiligen klimatisierten fensterlosen Kammern arbeiteten, überzeugten mich, dass COBOL die einzig wahre Sprache für einen Computer sei. Als ich Interesse zeigte, damit zu arbeiten, rieten sie mir ab, es gäbe absolut nichts, was ich damit anfangen könne. Aber mir schien das ein guter Weg zu sein, um Arbeit zu vermeiden und nicht Jahr für Jahr immer wieder das Gleiche machen zu müssen. Also habe ich mir schon sehr früh, so 1977 oder 1978, beigebracht einen Texteditor zu benutzen. Eine echte Textverarbeitung hat damals 8.000 Dollar gekostet, deshalb hatte niemand eine. Aber ich benutzte diesen Texteditor und ein Programm namens “Run-off”, und so konnte ich lange Texte verarbeiten.
RG: Erinnerst du dich an das erste Spiel, das du auf einem Computer gesehen hast?
Al Lowe: Oh ja! Ein Teil meines Jobs war das Organisieren von Musikveranstaltungen, ich leitete etwa ein Jazz-Fest, einen Blasmusik-Event, eine Orchester-Darbietung. Das war viel Arbeit, aber ich bekam keinen Assistentinnen. Darum habe ich schließlich eine Software für die Planung entwickelt. Ich glaube, wir hatten die erste Veranstaltung, die mithilfe eines Computers Wirklichkeit wurde. Ich entwickelte also diese Programme auf dem DEC-Computer, für etwa ein Jahr. Dann kam der Apple II heraus. Ich überzeugte meine Frau, dass wir mehr als unsere beiden Monatsgehälter zusammen ausgeben sollten, um einen Apple II mit 48 KByte Speicher, zwei Diskettenlaufwerken, Monochrom-Monitor und Epson MX-80-Nadeldrucker zu kaufen.
Ich hatte die Idee, meine Musikveranstaltungs-Software auf den Apple II zu konvertieren und das dann zu verkaufen. Weltweit würden die Musik-Events mit Geld schicken! So kam es dann nicht. Sondern mein Sohn und ich fingen an, auf dem Computer zu spielen, vor allem Sierra-Adventures. Und dann dachte ich mir, “Ich bin doch Lehrer, ich sollte Lehrprogramme schreiben”. Ich schrieb in drei Monaten zwei Spiele, ich las Magazine und kaufte ein paar Bücher über Peeks und Pokes oder Maschinensprache. Ich zeigte das Resultat auf Bildungsmessen und die Leute kauften es! So hat meine Karriere angefangen, mit Lehrsoftware für Apple II.
RG: Musik spielt in deinem Leben eine große Rolle. Wann kam sie in dein Leben?
Al Lowe: Meine Schwester spielte Klavier. Sie um einiges älter und weckte dadurch mein Interesse. Als ich etwa fünf Jahre älter war, fing ich selbst mit dem Klavierspielen an. Das tat ich bis bis zur 7. Klasse. Mein älterer Bruder hatte Saxophon gespielt, und das lag noch im Keller rum. So kam ich zum Saxophonspielen. Seitdem ist es ein Teil meines Lebens.
RG: Du hast sehr lange Musik an einer öffentlichen Schule unterrichtet. Warum hast du damit aufgehört?
Al Lowe: Ich war 36 Jahre alt und ganz oben in der Gehaltstabelle – und hatte mindestens weitere 20 Arbeitsjahre vor mir. Ich hatte einfach das Gefühl, das es da noch mehr geben musste. Auch mit meiner Band hatte ich schon Preise gewonnen. Und so fing ich an, mich für Computer zu interessieren. Ich bin aber auch ein Modelleisenbahner. Ich bin Teil einer Gruppe, die auf Tour geht, wir bauen Tische aus kleinen Modulen auf – wir haben dutzende davon und bauen sie auf verschiedene Weise zusammen. Wir präsentieren sie etwa auf Modellausstellungen, in Shoppingcentern und so weiter. Es ist ein wirklich interessantes und lohnendes Hobby.
RG: Hast du von der größten Modelleisenbahn-Installation der Welt gehört, bei uns in Hamburg?
Al Lowe: Ich habe davon nicht nur gehört, sondern war – vor einigen Jahren – einen ganzen Tag dort. Sucht auf YouTube nach “al lowe miniaturwunderland”, dann seht ihr mein 20-Minuten-Video von dort. Als ich da war, wurde gerade Italien gebaut… Und der Modell-Flughafen war klasse!
RG: 1982 hast du drei Spiele herausgebracht: Dragon’s Keep, ein Adventure für Kinder, Bop-A-Bet und Troll´s Tale, ein weiteres Adventure für Kinder. Warum hast du diese Spiele gemacht?
Al Lowe: Im Sommer 1982 war ich als Lehrer auf einer Musik-Messe, und als abends die Schilder abgebaut und durch solche für die “National Educational Computer Conference” ersetzt, wurde ich neugierig. Ich hatte ja damals meine Musikfestival-Software für den Apple II konvertiert. Also besuchte ich auch noch die Computerkonferenz und es war eine revolutionäre Erfahrung für mich. Ich dachte, warum gibt es niemanden, der Lernspiele programmiert? Es gab nur Lernsoftware, aber mein Sohn spielte gerne Computerspiele und ich spielte gern Spiele mit ihm – warum also gab es keine Computerspiele zum Lernen? Ich fuhr nach Hause und kaufte das erste Grafikprogramm für den Apple II. Ich verbrachte viel Zeit am Telefon mit dessen Support, und das war der Progammierer selbst – so klein war die Industrie damals! Es stellte sich heraus, dass er auch Highschool-Lehrer war! Mit diesem Programm machte ich die ersten drei Spiele. Nachdem ich sie programmiert hatte, half mir meine Frau, sie zu verpacken. Wir tüteten sie ein, machten Löcher rein, so konnte man sie an einen Haken hängen. Wir zeigten die Spiele auf einer Computershow und verkauften sie gut. Soweit ich weiß, waren das die ersten Lernspiele, die für Heimcomputer erschienen sind.
RG: Wie hast du dir das Programmieren von Spielen beigebracht? Es gab ja kein Internet zu der Zeit.
Al Lowe: Es gab noch nicht einmal Bücher darüber! Es gab ein paar Magazinartikel, die erklärten, wie man programmiert. Im Prinzip hat sich jeder selbst geholfen und es sich beigebracht. Man hat einfach Sachen ausprobiert, solange bis sie funktionierten. Und ich wusste ja, wie Spiele aussehen mussten – ich spielte all diese Sierra-Spiele! Und am Ende sahen meine Spiele tatsächlich so aus. Zur selben Zeit wollte Ken Williams in den Bereich Erziehungssoftware einsteigen. Er hat meine Software auf einer Messe gesehen hat, und machte mir Komplimente dafür. Dann drehte er sich zu seiner Frau Roberta um und sagte „Schau, die Spiele sehen aus wie deine.” Was für eine Auszeichnung!
RG: Hast du wirklich alles gemacht, also Grafiken, Sounds, die Musik, das Programm?
Al Lowe: Ich musste fast alles allein machen, ich kannte niemanden, der Code schreiben konnte oder Grafiken zeichnen. Aber mein Nachbar auf der anderen Straßenseite hatte mal eine Lehrsoftware geschrieben und half mir, indem er die Story für das Spiel aufschrieb. Er machte auch einen Teil der Grafik. Für die Musik musste ich erst mal herausfinden, wie das auf dem Apple II geht, denn der hatte keinen Soundchip. Um etwa die Note a abzuspielen, schickte ich per Befehl eine bestimmte Stromstärke an den eingebauten Lautsprecher, und zwar per Zähler für den 1880. Teil einer Sekunde. Danach startete ich den Zähler erneut, um dann erneut beim 1880. Teil einer Sekunde einen negativen Impuls zu senden. So erzeugte ich die Note a. Das c ergab sich über den 256. Teil einer Sekunde. Diese Zeiten musste ich für jede Note ermitteln, um dann am Ende eine Melodie abspielen zu können.
RG: Du hast ab 1983 für Sierra gearbeitet. Wie hast du die Firma in den frühen Tagen erlebt?
Al Lowe: Ich war Mitarbeiter Nummer 20. Anfang 1983 habe ich die Spiele noch zu Hause geschrieben, weil ich hauptberuflich gelehrt habe. Im Sommer hat Ken mich dann zum Essen eingeladen und gesagt: Du solltest aufhören als Lehrer zu arbeiten und mehr Spiele schreiben! Ab dem 1. Juli habe ich dann in Vollzeit für ihn gearbeitet, weiter von zu Hause aus. Im Winter ’83 hatte sich die Ausrichtung der Firma in Richtung Atari VCS geändert. 2600-Module waren jedoch viel teurer in der Produktion als Computerspiele. Bis dahin war der Hauptkostenfaktor die Programmierung gewesen, das Spiel selbst kostete in der Produktion vielleicht 1 Dollar. Atari wollte aber pro Modul 7 Dollar für die Herstellung haben. Und dann kam E.T. an Weihnachten heraus…
RG: … und führte bekanntlich mit zum großen Konsolen-Crash.
Al Lowe: Am Neujahrstag hatten alle die Schnauze voll von E.T., die Kinder wollten ein anderes Spiel, aber die Eltern wollten ihnen kein weiteres kaufen. Viele Atari-Konsolen verstaubten von da an im Schrank. Die ganzen 2600-Spiele hatten Sierra bereits viel Geld gekostet. Nun schickten die Läden sie zurück und wollten ihr Geld wiederhaben. Sierra durchlebte eine wirklich schwierige Zeit. Im April 1984 rief Ken Williams alle in sein Büro – und abends waren von 120 Mitarbeitern nur noch 40 übrig. Das betraf auch die 25 festen Spieledesigner: Ken sagte jedem von uns: “Als Mitarbeiter bist du für mich ein Kostenpunkt, und das jeden Monat. Aber wenn du frei für mich arbeitest und als Entlohnung Vorschüsse auf die zukünftigen Gewinne akzeptiertst, sieht die Firma in den Augen eines zukünftigen Investors wesentlich zahlungsfähiger aus.” Ich rechnete nach und kam darauf, dass ich im besten Fall doppelt so viel verdienen würde wie vorher! Ich fragte Ken zur Sicherheit: “Bin ich jetzt gefeuert?” Und er sagte: “Ja, klar.” Ich bedankte mich, fuhr nach Hause und machte weiter Spiele für ihn. Lustigerweise sind von den 25 Designern, die Ken nach Hause geschickt hat, nur drei mit Spielen wiedergekommen. Das war im Frühjahr 1984 der Beginn der neuen Firma Sierra mit drei oder vier Designern.
RG: Lass uns chronologisch über einige deiner Titel sprechen. Fangen wir 1983 an mit A Gelfing Adventure, das Spiel zum Fantasy-Film Der Dunkle Kristall.
Al Lowe: Sierra hat damals ein Computerspiel zum Film von Jim Henson (Die Muppets) programmiert. Sie baten mich um ein Lernsoftware-Spin-off. Ich nahm also die Artwork und erstellte dazu ein einfaches Kinderspiel. Für mich war es klasse, mit den Henson-Leuten arbeiten zu können und mit Chris Surf, einem berühmten Autoren in New York.
RG: 1984 hast du Black Cauldron gemacht – was war das für ein Spiel?
Al Lowe: Disney brachte den Film Taran und der Zauberkessel heraus. Es war der erste Disney-Film, der “ab 13” war, wegen einiger Gruselszenen. Disney wollte von mir ein Adventure dazu, das keinerlei Tastatureingaben benötigte, sondern über vier Funktionstasten spielbar war. Jede dieser Tasten hatte ihnen zugewiesene Funktionen, etwa “nehmen” oder “ansehen” oder “reden”. Das wurde die Grundlage für die Point-and-click-Adventures, die Roberta Williams einige Jahre späte entwickelte. Der zugrundeliegende Code war derselbe, nur zeigte sie eben ein Nehmen-Icon an, statt den Spieler eine Taste drücken zu lassen.
RG: Im Jahr darauf warst du der Hauptprogrammierer von King’s Quest 3.
Al Lowe: Das war das erste Mal, dass ich direkt mit Roberta zusammenarbeitete. Sie war die Designerin, ich musste das in Programmcode umsetzen. Bob Heitman half mir. Es war nicht einfach, aber wir haben es geschafft und sind sogar rechtzeitig fertiggeworden.
RG: Noch mal ein Jahr später hast du wieder ein Disney-Spiel gemacht: Donald Duck’s Playground.
Al Lowe: Ich habe die PC-Version erstellt. Donald Duck’s Playground gewann den “Educational Excellence Award”, da war ich ziemlich stolz drauf. Es war ein wenig bieder und entsprach nicht ganz meinem Humor, aber es war eben für Kinder gedacht.
RG: 1987 kam dann Leisure Suit Larry, das auf dem Textadventure Softporn basierte.
Al Lowe: Wirklich jeder hatte in den späten 70ern Softporn Adventure als “Kopie”. Ken Williams hat für den Apple II 25.000 Stück davon verkauft – als es überhaupt nur 100.000 Apple II gab! Disney störte sich aber später daran, dass ihre Lizenzspiele von derselben Firma kommen würden wie Softporn Adventure, und Ken nahm es aus dem Programm. Aber die Lizenzspiele brachten uns nicht so viel, wie erhofft, im Gegenteil: Lizenzspiele hatten einen schlechten Ruf, obwohl unsere gut waren! Als wir dann die Disney-Lizenz nicht erneuerten, erinnerten wir uns an Softporn. Ich spielte es neu und ging dann zu Ken: “Man sollte dem Spiel einen Trainingsanzug verpassen!” Ich sagte Ken, dass Trainingsanzüge lustig sind, und dass ich so ein Spiel nur schreiben könnte, wenn es lustig wäre. Ken antwortete: “Das ist eine gute Idee, mach eine Komödie daraus!” Ich nahm also die Puzzles und Locations von Softporn und machte mit Marc Crowe zusammen das Grafik-Adventure Leisure Suit Larry – Land of the Lounge Lizards. Ich programmierte drei Monate daran. Es wurde zunächst das schlechtverkaufteste Spiel in der Geschichte von Sierra – die Zwischenhändler und Kaufhäuser sagten, es sei schmuddelig, sowas könne man nicht verkaufen. Aber mit der Zeit gingen die Verkäufe doch in die Höhe – am Jahresende war Larry auf Platz 3 der Charts! Und das ohne jede Werbung, nur durch Mundpropaganda.
RG: Du giltst als Erfinder des Slogans “Save early, save often”. Warum habt ihr in den Sierra-Adventures die Spieler so oft sterben lassen?
Al Lowe: Der Grund ist einfach: Wir hatten nicht die Ressourcen, um alle Möglichkeiten abzufangen, die der Spieler ausprobieren könnte. Also haben wir bei allen Aktionen, die wir für unwahrscheinlich hielten, den Tod als Resultat eingebaut. Nachdem das nach einer Weile zu einer Art Tradition geworden war, dachten wir uns kreative Wege aus, den Spieler zu töten. Aber irgendwann waren alle dessen überdrüssig – und in Larry 5 habe ich das Ableben komplett entfernt. Aber als die Tests herauskamen, hat nicht einer davon diese Änderung erwähnt!
RG: 1987 hast du auch als Hauptprogrammierer von Police Quest begonnen.
Al Lowe: Weil sich Larry im Frühling so schlecht verkaufte, brauchte ich einen anderen Job. Deshalb habe ich mit Jim Walls und Greg Rollin an deren Spiel gearbeitet. Wir haben es etwas aufpoliert und waren rechtzeitig zu Weihnachten fertig.
RG: 1988 kamen Kings Quest 4 und Larry 2 heraus.
Al Lowe: Als die Verkäufe von Larry wuchsen und wuchsen, wurde der Nachfolger beschlossen. Bei King’s Quest 4 gab es den Hintergrund, dass sich Sierra Investoren gegenüber aus dem Fenster gelehnt hatte: Wir verstehen das Medium CD-ROM, wir verstehen HD-Auflösung (für uns war das 640×480…), wir würden uns mit Musik, MIDI und so weiter auskennen, also mit allem, was neu war. Man sollte unsere Aktien kaufen! Im August 1988 meinte jemand: “Vielleicht sollten wir sicherstellen, dass das Spiel, diese neuen Features auch wirklich kann?” Niemand hatte sich bis dahin wirklich mit Robertas Spiel auseinandergesetzt! Als sie sich das Spiel ansahen, gerieten sie in Panik, denn es war schlecht. Alle Programmierer mussten daraufhin ihre eigenen Projekte unterbrechen und an King’s Quest 4 arbeiten, und mir übertrugen sie die Leitung. Mit mindestens 20 Leuten haben wir es neu programmiert, um es im Oktober veröffentlichen zu können. Es hieß, wenn wir das schaffen, würden wir durch die Aktienoptionen alle reich werden, aber wenn nicht, würden wir alle sterben. Einer der Jungs kam mit seiner Stechkarte zu mir, und er hatte in einer Woche 104 Stunden gearbeitet. Als ich sie absegnete, sagte ich zu ihm: “Du bist ein paar Male recht früh nach Hause gegangen, diese Woche musst du härter arbeiten!” Sie mieteten Hotelzimmer für uns in der Nähe, und wir gingen hin und schliefen, sie wechselten die Bettwäsche, und die nächsten gingen hin und schliefen. Wir arbeiteten buchstäblich Tag und Nacht, rund um die Uhr.
RG: 1988 waren drei deiner Spiele gleichzeitig in den Verkaufscharts.
Al Lowe: Ja, im Juli 1988 war Larry auf Platz 3, Police Quest auf 5 und King’s Quest 3 auf 10.
RG: Was war 1989 anders bei Larry 3 im Vergleich zu den beiden Vorgängern?
Al Lowe: Der erste Larry war Softporn mit Grafik, Humor und einer Hauptperson – aber die Grundidee war zehn Jahre alt. Ein Typ will drei Frauen rumkriegen und Sex mit ihnen haben. Danach würde er die wahre Liebe finden und sesshaft werden – darum ging es in Larry 2. Das Problem war nur, dass beide Spiele sich gut verkauften, und so sagte der Vertrieb: “Ihr müsst so schnell wie möglich Larry 3 machen!” Aber Larry war verheiratet, was sollte ich jetzt machen? Nun, sie verließ ihn in Larry 3 für eine andere Frau, das war Ende der 80er ungewöhnlich. Es gab ein wenig lesbischen Sex, und es wurde ein offeneres Spiel in Bezug auf die Locations. Kunden mögen Fortsetzungen, sie wollen die Erfahrungen, die sie in dem vorigen Spiel gemacht haben, erneut … aber wenn man einfach das vorige Spiel wiederholt, mögen sie es nicht. Sie wollen das Gleiche, aber anders. In Larry 3 ist mir das gelungen.
RG: Etwa ein Jahr später gab es ein Remake von Larry 1, warum wurde diese verbesserte Version gemacht?
Al Lowe: Weil wir nun hochauflösende Grafik hatten, besseren Sound, Point-and-click. Und der Verkauf der alten Spiele mit Texteingabe brach ein. Also nahmen wir Kings Quest, Space Quest und Larry, und ich glaube auch Police Quest, und brachten aktuellere Versionen mit besserer Grafik und besserem Sound. Aber die Remakes verkauften sich nicht so gut, obwohl sie fast so viel Arbeit gemacht hatten wie neue Spiele. Also konzentrierten wir uns wieder auf Neuentwicklungen.
RG: Wieso kam nach Teil 3 nicht Larry 4?
Al Lowe: Ich fand, dass Larry als Trilogie perfekt war und ein gutes Ende hatte. Ich arbeitete 1991 monatelang an einem Multiplayer Adventure Game in Richtung von Ultima Online, nur war ich neun Jahre früher dran. Die Technologie war aber noch nicht so weit. Also brach ich das Projekt ab und machte mich an Larry 4, nach dem der Vertrieb so gierte. Aber die Handlung war abgeschlossen, wie sollte ich sie neu beginnen? Es ging nicht! Als ich einmal aus dem Büro des CEO kam, rannte ich in der Vorhalle eine Frau um. Sie fragte mich dann: “Woran arbeitest du eigentlich gerade? An Larry 4?” – und ich sagte, leicht verwirrt, “nein, an Larry 5.” Auf dem Nachhauseweg merkte ich, dass das die Lösung war: Ich würde Larry 4 einfach überspringen! Und wenn irgendetwas in Teil 5 nicht zur alten Trilogie passte, konnte ich einfach sagen: “Das wurde in Larry 4 erklärt.”
RG: Aber glaubten dadurch nicht viele Leute, dass eine Folge fehlte?
Al Lowe: Das war eine wundervolle Sache, um im Gedächtnis zu bleiben! Wer von Larry 5 hörte, sagte: “Moment, ich kenne Teil 4 noch nicht” – und wenn sie dann erfuhren, dass es gar keinen vierten Teil gibt, wollten sie Teil 5 unbedingt sehen.
RG: Ein anderer Klassiker erschien 1993: Freddy Pharkas. Stimmt es, dass du die Ballade selbst gesungen hast
Al Lowe: Josh Mendell schrieb die Songtexte und ich schrieb die Musik, und wir entschieden, dass wir unter die Opening Credits eine Ballade legen würden, der die umfangreiche Hintergrundstory in etwa 30 Sekunden erklärt. Ich sah mich nach Sängern dafür um, aber niemand konnte es witzig genug singen. Immer wieder sagte ich: “Nein, nein, mach’ es so, lass’ deine Stimme rasseln, mach’ es albern” Aber keiner schaffte es auf wirklich witzige Weise. Irgendwann hieß es: “Wieso machst du es nicht selbst?” Und dann habe ich eben den Song eingesungen. Und übrigens auch die Schlussballade. Die ist auch lustig, aber kaum jemand kennt sie, denn Freddy Pharkas ist ein schweres Spiel. Auf allowe.com könnt ihr sie anhören.
RG: Lass’ uns ins Jahr 1996 springen. Mit Leisure Suit Larry 7 gab es wohl ein Problem bei der großen US-Handelskette Walmart?
Al Lowe: Walmart mochte einen Teil von Larry 7 nicht, also verkauften sie es erst mal nicht. Ich würde liebend gerne sagen, dass es eine große Kontroverse gab. Aber die Wahrheit ist, die Spiele waren gar nicht so schmuddelig. Man musste schon richtig suchen, um etwas Versautes zu finden. Ich glaube, Mitarbeiter von Walmart hatten den Programmcode untersucht und in den Textdateien etwas gefunden, nämlich einen Witz, den im Spiel Bill Clinton in einem Comedy Club erzählt. Es geht um einen deutschen Schäferhund. Die Pointe gefiel Walmart nicht, deshalb wollten sie es nicht verkaufen. Es war eine andere Zeit.
RG: Für Larry 8 war wohl 3D-Grafik geplant. War das der Grund, dass es nie fertiggestellt wurde?
Al Lowe: Larry 7 verkaufte sich gut, und das gefiel mir: Ich musste mir weiterhin keinen richtigen Job suchen, sondern konnte weiter Spiele programmieren. Leider wurde Sierra damals von – inzwischen überführten – Kriminellen übernommen. Ken und Roberta verloren die Kontrolle über die Firma. Es hieß damals, die Leute wollten keine Adventures mehr, sondern nur noch Ego-Shooter. Wir wissen, wie das für Sierra endete: Innerhalb von vier Jahren wurde aus einer Firma mit 1.200 Mitarbeitern und 28% Marktanteil eine Firma mit 0 Mitarbeitern und 2 bis 3% Marktanteil. Nur das Logo wurde noch auf Spiele draufgeklebt. Die guten Leute waren längst weg, die schlechten blieben so lange, bis sie entlassen wurden.
Ich selbst war ja kein Angestellter, sondern Freiberufler. Ich hatte zwar ein Büro bei Sierra im Gebäude, war aber kein monatlich bezahlter Mitarbeiter, sondern habe für Tantiemen gearbeitet. Als Larry 7 ausgeliefert wurde, setzte ich mich an Larry’s Casino. Es war ein wirklich lustiges Spiel, war aber so designt, dass es nur mit dem “Sierra Network” funktionierte. Und als dieses Netzwerk abgeschaltet wurde, ließ sich das Spiel nicht so modifizieren, dass es auch in anderen Online-Services lief. Damit war der gesamte Online-Aspekt weg.
Jedenfalls prophezeite man uns damals, dass Adventure-Spiele nicht mehr laufen würden, obwohl doch unsere letzten Adventures alle Geld eingebracht hatten! Und so wurde Larry 8 eine Art Tennisball, der von allen hin und her geschlagen wurde. Ich weigerte mich, es ohne ein paar Garantien zu entwickeln – zum Beispiel, dass es auch beworben werden würde. Aber sie wollten mir nichts garantieren, und so wurde nichts daraus. Auf meiner Website findet man einen Test, den wir für den 3D-Larry von Teil 8 gemacht haben. Aber es war nur der Start einer Idee, es gab danach keine Entwicklung mehr. Das Management gab mir nie eine Zusage, dass ich für meine Arbeit auch jemals Geld gesehen hätte.
RG: Welches deiner Spiele hat die meiste Entwicklungszeit verschlungen?
Al Lowe: Von der technischen Seite her Police Quest, weil die eigentlichen Entwickler schon 13 Monate daran gearbeitet hatten, bevor ich dazu stieß, um weitere vier Monate daran zu arbeiten.
RG: Und was würdest du als dein witzigstes Spiel bezeichnen? Freddy Pharkas?
Al Lowe: Nein, sondern Larry 7. Erst bei Larry 7 hatte ich das Gefühl, wirklich zu wissen, was ich da eigentlich tue! Vei all den vorherigen Spielen hatte ich immer Angst, irgendwer käme mir auf die Schliche, dass ich gar nicht weiß, was ich da mache. Dass ich ein Hochstapler bin! Aber um 1995, als Larry 7 herauskam, war ich sehr zuversichtlich. Ich wusste nun, wie es geht!
RG: Du hast Sierra 1998 verlassen. Was hast du in der Zeit danach gemacht?
Al Lowe: Ich startete die Website allowe.com. ich begann mit dem täglichen Witze-Newsletter cyberjoke3000 – seit zwei Jahrzehnten schicke ich jeden Morgen zwei Witze raus. Ich empfinde meinen Ruhestand als eine tolle Erfahrung. Ich bin länger im Ruhestand, als ich programmiert habe! Ich habe als Musiker begonnen, wurde dann Musiklehrer. Ich habe gerne Musik gespielt, habe gerne mit Kindern gearbeitet, habe gerne Spiele programmiert und bin sehr gerne im Ruhestand. Es war alles gut. Ich habe sehr viel Glück gehabt, im Gegensatz zu den meisten anderen Menschen. Ich habe nie einen Beruf ausgeübt, den ich nicht auch ohne Bezahlung gemacht hätte. Sierra war speziell in den 80er Jahren ein besonderer Ort. Wir haben durch das, was wir am liebsten taten, Millionen von Menschen Freude bereitet. Wir haben sie zum Lachen gebracht, haben sie zum Denken angeregt, haben ihnen Unterhaltung und Freude bereitet. Ich schätze mich glücklich, dass ich ein Teil davon war!
Das Interview führte Patrick Becher bereits 2016; einige Zeitangaben wurden deshalb sachte angepasst. Textredaktion: Jörg Langer (retro-gamer.de). Abdruck mit freundlicher Genehmigung von www.retrokompott.de