Unter JRPG-Fans gilt Suikoden II als eines der Glanzstücke seines Genres. Mit Eiyuden Chronicle: Hundred Heroes erschien just ein spiritueller Nachfolger, die Wertungen waren verhalten wohlwollend. Nett, aber wohl nur was für Fans. Hardy hat dem Release lange entgegengefiebert, konnte das Spiel seine Erwartungen erfüllen?
Wenn ich an Suikoden II denke, dann werde ich immer etwas schwermütig. Selten hat mich ein Spiel so in seinen Bann geschlagen: Die Geschichte von Freundschaft und Verrat, von Allianzen und Mord lässt sich am besten mit George RR Martins Game of Thrones vergleichen und kann mit dessen Wucht durchaus Schritt halten. Eine aufreibende Achterbahnfahrt der Gefühle. Dabei muss man sich allerdings vor Augen halten, dass ich von einem Playstation-Titel aus dem Jahr 1998 spreche.
Ein wichtiger Aspekt der Spielidee war bereits im ersten Suikoden, eine Vielzahl an illustren Charakteren um die Heldentruppe zu scharen, die nicht nur als schlagkräftige Frontschweine, sondern ebenso als Bewohner unserer stetig wachsenden Festung dienen und somit ein Gefühl von Heimat und Familie vermitteln. Manche dieser Figuren schließen sich schon an, wenn sie nur angesprochen werden, andere sind erst zur Kooperation bereit, wenn man bestimmte (und teils abstruse) Bedingungen erfüllt.
Viel Licht, das allerdings auch durch ein paar Schatten verdunklelt wird. Die Technik war schon damals nicht mehr State-of-the-Art und die deutsche Übersetzung von Suikoden II ist mir bis heute als völlig verkorkst im Kopf geblieben. Phasenweise wechselt der Text für einige Absätze unvermittelt die Sprache, in einem versteckten Ninja-Dorf wird sogar ausschließlich Französisch gesprochen. Zut Alors! Das war jedoch kein Grund, mir das großartige Spiel madig zu machen, auch wenn ich hoffe, dass das seit geraumer Zeit angekündigte Remaster endlich eine anständige deutsche Übersetzung erhält.
Als Suikoden-Mastermind Yoshitaka Murayama (der tragisch im Februar 2024, kurz vor dem Release von Eiyuden Chronicle: Hundred Heroes, verstarb) im Sommer 2020 eine Kickstarter-Kampagne für einen Nachfolger im Geiste zu Suikoden II startete, musste ich eine kleine Freudenträne verdrücken. Der Stil und die Prämisse entsprachen exakt meiner Vorstellung: Oldschool und im Geiste des großartigen zweiten Suikoden-Teils. Aus Zeitgründen spiele ich heutzutage vor allem auf der Switch, zudem stelle ich mir die Spiele noch als physische Variante ins Regal – daher musste ich recht lange warten, bis das Spiel endlich bei mir ankam. Kann ja nur geil werden! Oder?
Ein erster Dämpfer meiner Euphorie war der GamersGlobal-Test von Michael Hengst. Bei Rollenspielen vertraue ich seit meiner Kindheit auf Michaels Meinung, aber 7.0? Puh, selbst Dune 2 bekam seinerzeit in der Power Play eine höhere Wertung! Aber kein Grund zur Panik! Eiyuden Chronicle: Hundred Heroes würde mich sicher trotzdem voll abholen, auch ein Michael Hengst kann schließlich einmal irren!
Nein, leider nicht. Sicher, Eiyuden Chronicle: Hundred Heroes versprüht aus jeder Pore die Essenz von Suikoden II, nur wirkt es dabei sehr bemüht und stets einen Schritt hinterher. Die Geschichte braucht ewig, bis sie endlich Fahrt aufnimmt, viele der Charaktere wirken wie Kopien vergangener Suikoden-Teile und irgendwie wirkt das alles uninspiriert. Das mag paradox klingen, denn ich wollte ja ein Spiel wie Suikoden II, aber schon nach verhältnismäßig kurzer Zeit drängte sich mir der Wunsch auf, doch lieber die Playstation aufzubauen oder auf das Suikoden-Remaster zu warten.
Nicht, weil das Spiel fad wäre, denn die Kämpfe, Schlachten und Möglichkeiten der Charakterentwicklung sind durchaus auf Augenhöhe mit dem Vorbild. Ich hatte aber abermals auf eine Geschichte gehofft, die mir durch Mark und Bein geht. Die mich zum Lachen und zum Weinen bringt und der ein Schulterschluss mit dem großen Vorbild gelingt. Das ist leider nicht der Fall, die Story von Eiyuden Chronicle: Hundred Heroes orientiert sich zwar an der Suikoden-Formel und weist auch sämtliche Zutaten auf. Doch das fertige Gericht zündet bei mir zu keinem Zeitpunkt so, wie es damals Suikoden II gelang.
Ja, ich hatte extrem hohe Erwartungen in dieses Spiel — wohl zu hoch, um realistisch zu sein. Es ist eben kein zweites Suikoden II – und das zählt für mich zu den allerbesten Rollenspielen, plattformübergreifend. Eiyuden Chronicle: Hundred Heroes ist dagegen”nur” ein gutes Retro-JRPG, das sich daran orientiert. Dennoch will ich dem Spiel nicht absprechen, dass es deutlich mehr richtig als falsch macht. Es stellt für Fans japanischer Rollenspiele ordentliche Kost dar. Es ist aber eben nicht das von mir ersehnte Festmahl geworden.
Habt ihr Eiyuden Chronicle: Hundred Heroes gespielt, das Spiel vielleicht sogar ähnlich herbeigeseht, wie ich? Wie ist eure Meinung?